Wie kann eine Verfassung die Erdrosselung unseres Gemeinwesens durch die Parteien in Deutschland beenden?
Hierzu sieben Vorschläge:
- Bei Bundestagswahlen bewerben sich in jedem Wahlkreis nur noch Direktkandidaten.
- Der Kandidat, der in einem Wahlkreis die meisten Stimmen erhält, zieht in den Bundestag ein.
- Landeslisten, die von den Parteien aufgestellt und mit der „Zweitstimme“ gewählt werden, gibt es nicht mehr. Weil Überhangmandate wegfallen wird die Größe des Bundestages mehr als halbiert.
- Kandidieren kann jeder Bürger, der im Wahlkreis wohnt und das passive Wahlrecht besitzt. Hierzu benötigt er 250 unterstützende Unterschriften von wahlberechtigten Mitbürgern aus dem Wahlkreis.
- Es werden Personen gewählt, keine Parteien. Eine mögliche Parteizugehörigkeit von Kandidaten wird auf dem Wahlzettel nicht vermerkt (eine Zugehörigkeit zu einem Sportclub ja auch nicht).
- Die Reihenfolge, in der die Kandidaten auf den Stimmzetteln stehen, wird ausgelost. Das beschränkt den sicheren Erfolg eines von der größten Partei aufgestellten Kandidaten.
- Die zuständige Behörde organisiert öffentliche Veranstaltungen, bei denen die Kandidaten sich vorstellen.
Die neue verfassungsgebende Versammlung sollte aus 100 Personen gebildet werden. 100 Personen sind arbeitsfähig, weil jeder jeden kennt.
Mitglieder dieser Versammlung werden über die Einwohnerregister der Wahlberechtigten mit einer qualifizierten Zufallsauswahl aus der Mitte der Bevölkerung rekrutiert. Das Losverfahren orientiert sich neben regionalen an demografischen Kriterien (Geschlecht, Alter, Bildungsgrad, Beruf), so dass diese Vertreter die Struktur der Gesamtbevölkerung spiegeln. Zahlreiche Losdurchgänge werden so lange durchgeführt, bis die erzielte Auswahl der Zusammensetzung der Bevölkerung entspricht – bis also der Anteil der 50 bis 60 Jahre alten selbständigen Handwerker in Franken bei den ausgewählten Mitgliedern deren Anteil in der Gesamtbevölkerung entspricht. Zusätzlich werden Ersatzkandidaten benannt, falls einzelne ausgeloste Bürger den Ruf zur Mitwirkung in der verfassungsgebenden Versammlung nicht annehmen.
Der so erarbeitete Verfassungsentwurf muss von der Bevölkerung als oberstem Souverän in einer Volksabstimmung genehmigt und freigegeben werden. Der Prozess der Vorbereitung dieser Abstimmung wird die meisten Wähler veranlassen, sich mit dem Entwurf und seinen Folgen – also mit dem politischen System – zu beschäftigen. Wird der Entwurf vom Souverän – dem Volk – nicht gebilligt, muss erneut beraten werden. Für Diskussion und Meinungsbildung ist ausreichend Zeit vorzusehen.
Ute Scheub beschreibt wie das gelingen wird:3 „Wenn sich in turbulenten Zeiten Betroffene und politisch Verantwortliche auf gleicher Augenhöhe begegnen und einander zuhören, bewirkt das fast immer das Wunder einer konstruktiven Konfliktlösung. … Gestalten (wir) die Regeln im Vertrauen auf die sozialen Fähigkeiten der Menschen, dann verhalten sich die meisten auf diese Weise, weil sie den Idealen entsprechen wollen. … Menschen (sind) als Gestalter zu Höchstleistungen imstande: intellektuell, kulturell, geistig, emotional. Wir sind Ko-Schöpfer, Transformatoren, Prozessoren … (Unsere) Entscheidungen (sind) in der Tendenz klüger, reflektierter, aufgeklärter, menschenfreundlicher, wohlklingender, ja: schöner.“ Neue Denkgewohnheiten führen zu veränderten Handlungsmustern.
Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir mit uns tun lassen. Wir müssen auf dem Boden der von uns tolerierten Tatsachen leben. Wenn diese uns für das Überhören des eigenen Gewissens strafen, sind sie zugleich aber auch Erziehung für zukünftiges Denken und Handeln. Wir – das Volk – sind der Souverän. Wir sollten uns dessen bewusst sein. Die Meinungsmacher der politischen Parteien haben uns Wege, auf denen alle Menschen ihre Würde wiedererlangen können, bisher verbaut. Es sind Wege zum Frieden in uns, zum Frieden in unseren Ländern und zum Frieden auf der Welt.
Quelle: Politik ohne Parteien von Wolfgang Berger (Prof. Dr.phil. Dr.rer.pol.) 8. März 2019
Demokratie ohne Parteien
“Doch ein demokratischer Staat beruht auf der Freiwilligkeit seiner Bürger. Wenn man diese Freiwilligkeit nicht mehr zu schätzen weiß, beginnt man an den Fundamenten unseres Zusammenlebens zu graben. Ohne daß wir es zugeben, gilt bei uns das “Volk” als dumm, verführbar und der Meinungsmache der Medien hilflos ausgeliefert. Prinzipiell glaube ich aber, daß ein Mensch, der sich als Individualist begreift und seine Meinung zu verschiedenen Fragen bildet, nicht gern bereit ist, das Programm einer Partei als Gesamtpaket hinzunehmen und vier Jahre lang durch seine abgegebene Stimme zu unterstützen.
Ich bin für das Prinzip der Gewaltverteilung und dafür, Entscheidungsprozesse letztlich immer auf jene zurückzuführen, die den Entscheidungen auch unterworfen sind. Damit sind die Grundideen der Demokratie benannt. Die Ausgestaltungsmöglichkeiten sind aber zahlreich und in weiten Teilen vor allem gedanklich unerprobt. Hierauf richten sich meine Anregungen: Ich kann mir einen demokratischen Staat ohne Parteien vorstellen. Ich kann mir Wahlzettel denken, auf denen man nicht Programmpakete wählt, sondern sich sachgebietsbezogen entscheidet.”
Quelle: WELT am SONNTAG “Demokratie ohne Parteien “Veröffentlicht am 18.06.2006