Die Kritik an den politischen Parteien lässt sich aufvier Hauptpunkte zurückführen:
- Das Volk komme nicht zu Wort, sondern werden durch die politischen Parteien ersetzt, die aberihrerseits ihrer Funktion als Sprachrohr des, Volkes nicht gerecht würden. Frage also: “Entmündigen die Parteien das Volk?”
- Die Parteien versagten vor der Lösung dringender Gemeinschaftsaufgaben. Frage also: Haben die Parteien ein Defizit an Problemlösungskompetenz oder besteht gar parteilich bedingtes, Staatsversagen’?
- Die Parteien höhlten den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gewaltenteilung aus. Das hat schädliche Rückwirkungen auf die Funktionsfähigkeit des ganzen Systems .Frage also: “Stellen sich die Parteien als Monopolmächte dar?”
- In den Parteien dominiere das Eigeninteresse an Macht, Posten und Geld. Frage also: “Beuten die Parteien den Staat aus?”
Demokratie ohne Volk?
Die Zurückdrängung des Volkes ist besonders aus geprägt auf der besonders wichtigen Bundesebene. Volksabstimmungen sind hier nicht vorgesehen. Selbst bei der Wahl der Abgeordneten für den Bundestag entscheidet der Wähler nicht mehr über Kandidaten, sondern nur noch über die Größe der verschiedenen Fraktionen und damit nur noch über die Herrschaftsanteile der Parteien. Wer von seiner Partei auf einen “sicheren” Listenplatz oder in einem “sicheren” Wahlkreis nominiert worden ist, dem kann der Wähler nichts mehr anhaben. Selbst wer im Wahlkreis nicht die Mehrheit der Bürger erlangt, ist auf der Landesliste oft abgesichert und kommt auf diesem Weg doch noch ins Parlament. Der Wähler wird also selbst bei Ausübung seines demokratischen Königsrechts von den Parteien bevormundet, und zwar weitaus mehr, als nach den Gegebenheiten der Massendemokratie unvermeidlich wäre.
Problemlösungdefizit
Der extremen Zurückdrängung des Volkes, die weit über die Erfordernisse der Massendemokratie hinausgeht, entspricht das Hervortreten und Sich- immer-breitet-Machen der politischen Parteien. Diese Verkehrung ließe sich allenfalls rechtfertigen, wenn sie im Interesse einer möglichst hohen Qualität des politischen Personals und zur Sicherung der nötigen Entscheidungsfähigkeit unseres politischen Systems unerlässlich wäre. Genau diese höhere Qualität der parteilichen Willensbildung wird aber immer mehr in Frage gestellt. “Cliquen, Klüngel und Karrieren” geht geradezu dahin, dass in den Parteien kleine Cliquen klüngeln und Weichen für politische Karrieren stellen, wobei die sachliche und persönliche Qualität der Kandidaten durchaus nicht das Hauptkriterium ist. Der Allmacht der Führungsgruppen steht nicht nur die Ohnmacht des Volkes, sondern auch. die der Masse der Parteimitglieder gegenüber. Die Frage der Qualität des Personals scheint auch der eigentliche Grund zu sein, warum die Bezahlung der Politiker in der Öffentlichkeit einsolch gewichtiges Thema darstellt. Es ist weniger die Höhe ihrer Bezüge, als vielmehr das Missverhältnis zu ihren Leistungen, das auf Kritik stößt. Das Volk halt ein recht gesundes Urteil darüber, dass jene Amtsinhaber überwiegend nicht wirklich verdienen, was sie verdienen.
Unterlaufen der Gewaltenteilung und Ausbeutung der öffentlichen Institutionen
Gewaltenteilung
Der dritte große Strukturmangel unseres Parteienstaates besteht in der Auflösung der Gewaltenteilung. Die Gewalten und Institutionen, die sich “nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung gegenseitig in Schach halten und zu ausgewogenen Entscheidungen auspendeln sollen”, werden zunehmend gleichgeschaltet und paralysiert. Die Parteien suchen auch die Verwaltung, die Rundfunkanstalten, die Rechtsprechung, die Wissenschaft und andere vom Grundgesetz als Partei frei konzipierte Einrichtungen mit ihren Leuten zu besetzen. Die Verkehrung kann so weit gehen dass, diejenigen, die die Bindung der Verwaltung an Gemeinwohl und Recht auch dann ernst nehmen, wenn Parteiinteressen entgegenstehen, zu unliebsamen Außenseitern werden. Das hängt mit ihrer Fixierung auf die affirmative Darstellung der Macht und dem Fehlen eines normativen, gemeinwohlorientierten Konzepts zusammen. Von besonderer Brisanz ist die zunehmende Parteipolitisierung des öffentliche rechtlichen Rundfunks (einschließlich des Fernsehens). Dadurch wird seine Informations- Kritik- und Kontrollfunktion gemindert, ja möglicherweise allmählich lahmgelegt. Dies geht an den Nerv des demokratischen Rechtsstaats, wen unabhängige Informationen und kritische. Kontrolle durch den Rundfunk unverzichtbar sind. Denn die Opposition ist definitionsgemäß regelmäßig in der Minderheit und kann nur mit Hilfe einer funktionierenden Öffentlichkeit die Regierungsmehrheil von Fehlern abbringen und zu möglichst guten Entscheidungen drängen. Die Forderung, angesichts der Beherrschung des Staates durch die Parteien – nach vornehmlich Parteienfreiheit des Rundfunks – kann aber immer weniger die Rede sein.
Unabhängigkeit der Wissenschaft
Auch die Unabhängigkeit der Wissenschaft ist Verfassungsrechtlich nicht zuletzt deshalb gewährleistet, um freie Sachlichkeit und Kritikfähigkeit gegenüber den Mächtigen in Staat und Gemeinschaft zu erhalten. Darum ist es schlecht bestellt wenn viele der Wissenschaftler, die sich intensiv mit den Parteien befassen, diesen auf Grund vielfacher Zusammenarbeit so nahestehen, dass sie kaum mehr unbefangen Kritik äußern können. Umgekehrt ist solche Kritik oft eine undankbare Sache, und’ sie ist umso. undankbarer, je genauer sie den Nerv trifft. Wer Defizite des Parteienstaates diagnostiziert und sich dabei mit (fast) allen Parteien zugleich anlegen muss, wird kaum erwarten können, von den Verantwortlichen ans Herz gedrückt zu werden – oder aber vielleicht so sehr, dass ihm der Atem wegbleibt. Der parteipolitische Einfluss verändert auch dann, wenn er nicht von einer Partei allein ausgeht. die Motivations- und, Denkweise, und damit auch die Art der Willensbildung insgesamt. Wem es primär auf Mehrheiten, Bündnisse, Macht, Positionen und Versorgung ankommt, der ist innerlich anders eingestellt und gelangt oft auch zu anderen Ergebnissen als der, dem es um sachliche Richtigkeit geht.
Wer immer nur besorgt ist, ob den Mächtigen genehm ist, was er geistig produziert, dem droht allmählich sein sachorientierter Denkstil abhanden zu kommen. Gerade der aber ist die Basis für die rationale Bewältigung unserer Gemeinschaftsprobleme.
Politikfinanzierung
Bei der &Regelung der Politikfinanzierung wird der Bürger vollends entmachtet, weil Regierung und Opposition in eigener Sache entscheiden und sich regelmäßig fraktionsübergreifend, einig sind. Der Wettbewerb zwischen den Parteien soll bewirken, daß die Regierungsparteien ihre Macht, nicht missbrauchen, sondern an den Interessen der Allgemeinheit ausrichten. Das funktioniert allerdings nur, solange wirklich Wettbewerb besteht. Politische Kartelle zwischen Regierung und Opposition machen dagegen die Allgemeinheit der Staatsbürger und Steuerzahler wehrlos. Aus Gewaltenteilung wird faktisch ein Gewaltenmonismus, der leicht Missbrauch und Ausbeutung Vorschub leistet. Ein Beispiel ist die staatliche ‘Parteienfinanzierung. Die Väter des Grundgesetzes, waren. noch davon ausgegangen, die Parteien finanzierten sich allein aus privaten Quellen. Deshalb enthielt das Grundgesetz nur eine Bestimmung, die die Parteien verpflichtete, Über die Herkunft ihrer Mittel öffentlich Rechenschaft zu legen. Es sollte für den Wähler transparent werden, welche Geldgeber hinter den Parteien stehen. Das Parteiengesetz ist in Wahrheit, ein »Parteienfinanzierungsgesetz«. Auch bei vielen Vorschriften, die scheinbar, mit Geld nichts zu tun haben, stehen in Wirklichkeit die Finanzen dahinter. Normalerweise richtet, sich der öffentliche Finanzbedarf nach den Aufgaben. Den Parteien aber war es aufgrund ihrer Schlüsselstellung am den Hebeln der Gesetz- und Haushaltsgebung möglich, dieses Verhältnis umzukehren und die Aufgaben nach dem von ihnen gewünschten öffentlichen Finanzvolumen auszurichten. Überhaupt kommt die Rechtsprechung oft zu spät oder mangels antragsbefugter Kläger gar nicht zu einer Entscheidung. Dann ist die Öffentlichkeit die einzige wirksame Kontrolle, In solchem Fall kann der Machtmissbrauch durch die politische Klasse offenbar nur eingedämmt werden, wenn es gelingt, der Politik ein Thema öffentlich. Aufzuzwingen. Dabei liegen die Probleme nicht in den offen ausgewiesenen Geldern, sondern in den kleingedruckten, aber ökonomisch gewichtigen Zusatzleistungen, die geradezu durch eine Flucht aus der Öffentlichkeit. gekennzeichnet sind. Neben den erwähnten Auswüchsen der, Versorgung sind hier z.B. überhöhten Aufwandsentschädigungen zu nennen, die in Wahrheit ein steuerfreies Zusatzeinkommen darstellen. Inzwischen ist die Berechtigung der Kritik an der staatlichen Politikfinanzierung in Deutschland und ihre Reformbedürftigkeit weithin anerkannt
Ausblick
Auf der Ebene der parlamentarischen Demokratie. kommen – mangels-direktdemokratischer Einrichtungen – als Elemente der Gewaltenteilung gegen Fehlentwicklungen des Parteienstaates, nur die Verfassungsgerichte, die öffentliche Meinung und die Wissenschaft in Betracht. Wehe aber, wenn es den Parteien gelänge, auch diese allmählich völlig gleichzuschalten. Dann wäre das Volk vollends hilf- und wehrlos gegen alle Ausbeutungstendenzen. Die Entwicklung zeigt das wir uns auf dem besten Weg dazu befinden. Die Medien mit Ihrer Meinungsbildung sind bereits überwiegend nach den Meinungen der führenden Parteien ausgerichtet. Opposition und andere Meinungen kommen praktisch nicht mehr vor. Es geht aber nicht um einzelne spektakuläre Fälle, sondern darum, die. Grundlagen der politischen Willensbildung zu verändern. Die Stellung und Berechtigung der politischen Parteien ist heute die Hauptfrage in Deutschland oder sollte es doch sein.
Quelle: Hans, Herbert von Arnim Ist die Kritik an den politischen Parteien berechtigt ? Auszug